In der Konzertserie Minstrel's Era – Tondichtung des Serails erklingen Instrumentalstücke osmanisch-traditioneller Musik aus dem 17. Jahrhundert. Sie stammen aus der Feder von Europäern, die zum Teil als Gefangene in Istanbul lebten und sich als erste überhaupt für die Dokumentation der Kunstmusik verantwortlich zeigten. Minstrel's Era bringt dieses einzigartige Repertoire in modernem Gewand zu Gehör. Dafür hat sich ein außergewöhnliches Ensemble zusammengefunden, das das traditionelle türkische Instrument Kemençe mit den warmen Timbres der europäischen Streichinstrumente Violine, Viola, Kontrabass und Klavier vereint.
Die türkische Kunstmusik, die in erster Linie am Hof des Sultans erklang, wurde bis ins 17. Jahrhundert hinein nicht schriftlich festgehalten. Im Gegensatz zur abendländischen Tonkunst traten die Komponisten hinter den Werken zurück, sodass die Musik nur mündlich weitergegeben wurde und die Namen ihrer Urheber häufig in Vergessenheit gerieten. Die ersten dokumentierten Werke stammen aus der Feder europäischer Musikschaffender. Der gebürtige Pole Alberto Bobowski (1610–1657) etwa, auch unter seinem türkischen Ali Ufki bekannt, lebte als Gefangener am Hofe des Sultans in Konstantinopel und musste für den osmanischen Grand-Seigneur, der kaiserlichen Loge des Serails, Werke verfassen, die dort zur Aufführung gebracht wurden. Seine und die Kompositionen anderer transkribierte er für den eigenen Gebrauch in europäischer Notation und fasste sie in Handschriften zusammen, die heute als erste eigentliche Repertoiresammlungen osmanischer Kunstmusik gelten können. Ein halbes Jahrhundert später wirkte der moldawische Fürst und Universalgelehrte Dimitrius Cantemir (1673–1723), mit türkischen Namen Kantemiroğlu, für viele Jahre in Konstantinopel und betätigte sich dort auch als Tonkünstler, Musiker und Musiktheoretiker. Von ihm stammt eine wissenschaftliche musikalische Abhandlung, die nicht nur über 340 Instrumentalstücke enthält, sondern auch eine von ihm entwickelte Buchstabennotation, die für folgende Generationen türkischer Musiker zum Ausgangspunkt ihrer Aufzeichnungen werden sollte.
Beide Gelehrte haben als Vermittler zwischen dem morgen- und abendländischen Kulturkreis ihre Spuren in der Geschichte hinterlassen, die bis heute nachwirken. Ihre Bedeutung für die osmanische Kunstmusik kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, legen doch ihre Werke ein außerordentliches Zeugnis von der blühenden Kunstmusikpflege am osmanischen Hof ab, die ohne ihr Wirken in Vergessenheit zu geraten drohte.
Minstrel's Era – Tondichtung des Serails erweckt die dreihundert Jahre alten Werke nun zu neuem Leben und würdigt damit den Stellenwert dieser Komponisten für die Musik der Türkei – eine Musik, die mit ihrer rhythmischen Finesse und den reichhaltig ornamentierten Melodien von bestechender Schönheit ist. In einer einzigartigen Synthese treffen in Minstrel's Era die Melodien der traditionellen gestrichenen Laute Kemençe auf eine moderne Begleitung. Derya Türkan, der führende Kemençe-Virtuose der Türkei, interpretiert die Stücke mit dem Geiger und Bratscher Atilla Aldemir (1. Solobratschist beim MDR-Sinfonieorchester in Leipzig), dem niederländischen Bassisten Eric Van Der Westen sowie dem türkischen Komponisten und Pianisten Çağrı Sertel, der die Werke mit einem zeitgenössischen Verständnis für die Aufführungen in dieser Konzertreihe eigens bearbeitet hat.
Minstrel's Era startet mit Konzerten in Leipzig, Halle und Dessau und ist zum Schluss in Berlin zu Gast. Damit wird die Kunst erneut zum Vermittler zwischen dem morgen- und abendländischen Kulturkreis, wenn in diesen bedeutsamen Zentren der europäischen Kulturgeschichte osmanische Musik erklingt, im Rahmen eines einzigartigen Konzerterlebnisses.
Klassik begeistert (Peter Sommeregger), 18.11.2019
„Minstrel's Era“: fremde und vertraute Klänge in der Berliner Passionskirche
Das Yunus Emre Enstitüsü ist ein Türkisches Kulturinstitut, das sich weltweit um die Pflege der türkischen Sprache und Kultur bemüht, und auch für dieses Konzert als Veranstalter auftritt.
In der Kreuzberger Passionskirche, einem Gotteshaus von überschaubarer, intimer Größe erlebt man an diesem Totensonntag ein ganz besonderes Konzert, das ein wunderbares Gegenstück zum tristen Novembernieseln an diesem düsteren Spätherbsttag ist.
Zu hören sind Musikstücke aus alter türkischer Tradition, die erstmals im 17. Jahrhundert von in Istanbul in Gefangenschaft lebenden Europäern aufgezeichnet wurden, aber bedeutend ältere Wurzeln haben. Ursprünglich nur für das Instrument Kemençe, eine Art Laute, vorgesehen, erleben wir an diesem Abend ein modernes Arrangement, bei dem sich Klavier, Kontrabass und Viola mit der Laute verbinden, was der Musik eine erstaunliche Modernität und Schwung verleiht. Der Reiz dieser Musik besteht hauptsächlich darin, dass hier uraltes, nur mündlich weitergegebenes Material durch europäische Musiker erstmals notiert wurde, wobei natürlich auch einiges vom Musikverständnis der Europäer einfließt.
Die moderne Begleitung schließlich bringt uns diese Musik erstaunlich nahe und stößt beim Publikum auch auf große Begeisterung. Die leichte Monotonie, die in der Musik angelegt ist, wird durch die originellen Arrangements stark aufgelockert, nach einer kurzen Phase der Eingewöhnung wird man von dem Rhythmus mitgetragen und man verfällt schnell dem Reiz dieses bei aller Fremdheit Vertrauten.
Derya Türkan an der traditionellen Kemençe wird harmonisch von Atilla Aldemir auf der Viola, dem Holländer Eric van der Westen am Kontrabass und last not least Çağrı Sertel am Klavier unterstützt. Ein gut eingespieltes Team, dem das begeisterte Publikum noch zwei Zugaben abtrotzte.
Ein ungewöhnlicher, aber geglückter Abend, der den eigenen musikalischen Horizont erweitert.